Sehr geehrte Frau Funke,
wie ist die Idee zu dem Buch entstanden?
Cornelia Funke: „Ich wollte schon immer ein Buch über Pflanzen machen, um ein paar Leser mit meiner Liebe für unsere grünen Mitbewohner anzustecken. Dann las ich eines Tages ein Buch der Ethno-Botanikerin Tammi Hartung, indem sie von vielen Heil- und Wildkräutern erzählt.
Mir gefiel der Ton so gut, dass ich Kontakt mit ihr aufnahm und sie fragte, ob sie Lust auf irgendeine Art von Zusammenarbeit hätte.
Tammi kam mich dann in Malibu besuchen, obwohl ein Feuer gerade vieles auf meiner Farm verbrannt hatte. ‚Das ist doch die beste Zeit’, sagte sie. ‚Da können wir mit Pflanzen viel von dem Schaden heilen.‘
Bei ihrem Besuch wurden wir gute Freundinnen und seither hat sie mir nicht nur oft mit Kräuterrat geholfen, sondern wir haben auch ein Buch zusammen gemacht.“
Wie sah deine Zusammenarbeit mit Tammi Hartung aus?
Cornelia Funke: „Tammi hat die Pflanzen ausgewählt und mich mit allen wissenschaftlichen und sonstigen Informationen zu ihnen versorgt.
Außerdem haben wir lange hin und her überlegt, welches Format am besten für dieses Projekt ist: ein Sachbuch? Oder doch besser eine Geschichte? Tammis Mann Chris hat sich von Anfang an für die Geschichte ausgesprochen, aber wir haben eine Weile gebraucht, bis wir da angekommen sind.
Dann kam mir eines Tages die Idee mit den Briefen und der Freundschaft der zwei Mädchen, die zu ganz verschiedenen Zeiten und an ganz verschiedenen Orten leben. Ich fand heraus, dass Rosalinde blind ist und Pflanzen dadurch auf ganz andere Weise begegnet. Und dass die Geschichte in Brooklyn spielt. All das war selbst für mich eine Überraschung, aber so ist das ja immer mit meinen Geschichten.
Sie haben ihren ganz eignen Willen. Tammi fand das sehr spannend und war stets bereit, gemeinsam auf diese abenteuerliche Reise zu gehen. Wir haben per zoom über die Figuren und Handlungsmotive, über Orte und Pflanzen diskutiert und so langsam zeigte sich die Geschichte.
Es kamen dann noch zwei ganz wichtige Helferinnen in Brooklyn dazu: Juliane Camfield vom Deutschen Haus dort und ihre Tochter Caspia. Die beiden sind für mich all die Wege abgegangen, die im Buch eine Rolle spielen und haben mir wunderbare Fotos von Brooklyn und allem geschickt, was ich sehen und wissen musste. Sie waren meine Augen und Ohren und deshalb heißt Caspia auch Caspia!“
Das grüne Königreich ist dein erstes realistisches Buch seit den „Wilden Hühnern“, aber du würdest ohnehin nicht so streng zwischen fantastisch und realistisch unterscheiden, wenn ich dich richtig verstanden habe. Die Natur ist ein fantastischer Ort. Kannst du das näher erläutern?
Cornelia Funke: „Ich glaube, dass unsere Wirklichkeit eine zutiefst fantastische ist. Schließlich sitzen wir alle auf einer kleinen blauen Kugel, die um einen Feuerball herumrast! Pflanzen machen Nahrung aus Sonnenenergie, Fliegen erleben Zeit anders als wir, Pilze bilden Netzwerke über viele Kilometer, Bäume werden mehr als tausend Jahre alt.
Die Natur kann uns jederzeit übertreffen, was Kreativität und Einfallsreichtum betrifft und eigentlich lernen wir alles nur von ihr. Was wir als Realität bezeichnen, ist ja meist nur der Teil der Wirklichkeit, der von Menschen gemacht und bestimmt ist.
‚Das grüne Königreich‘ war eine wunderbare Gelegenheit, zu zeigen, wie fantastisch die Welt ist und dass man, um das zu begreifen, nicht mal Feen oder Riesen braucht, sondern nur einen Löwenzahn:)“ Welche Pflanzen umgeben dich in der Toskana?
Cornelia Funke: „Oh, das lerne ich gerade erst. Es kommen demnächst zwei junge Umweltschützerinnen, die eine Liste der Wildpflanzen anlegen wollen, die sie hier entdecken. Und im April gesellt sich noch eine Vogelforscherin zu uns.
Ich lerne jetzt botanische und italienische Namen von Löwenzahn, Brennnessel, wilder Minze und all meinen anderen grünen Mitbewohnern.
Natürlich gibt es auch Zypressen und 300 Olivenbäume auf unserem Hügel, Apfel- Aprikosen- und Feigenbäume. Wir legen einen Gemüsegarten an und der Salbei und der Rosmarin bilden hier schon dichte Kräuter-Wälder.
Von einer befreundeten Botanikerin habe ich erfahren, dass die Artenvielfalt hier sehr groß ist, und ich freue mich drauf, bald Workshops mit der UN Dekade Biologische Vielfalt hier zu haben.“
Hast du eine Lieblingspflanze?
Cornelia Funke: „Oh, ganz viele! Da ist zum Beispiel das Lungenkraut. Der Beinwell. Die Akelei? Aber auch immer der wilde und unternehmungslustige Löwenzahn!“
Gibt es den Gewürzladen von Mrs Wahid in Brooklyn wirklich? Ich will ihn unbedingt besuchen.
Cornelia Funke: „Vielleicht? Aber noch haben wir ihn leider nicht gefunden.“ Caspia in deiner Geschichte hat keine Lust ihre Sommerferien in Brooklyn zu verbringen und sehnt sich zunächst nach dem ruhigen Landleben in Maine, wo sie mit ihrer Familie lebt.
Bist du selbst eher ein Stadt- oder ein Landmensch?
Cornelia Funke: „Ich bin, wie ich inzwischen weiß, ein Landei. Das habe ich aber erst langsam
über mich herausgefunden. Ich bin aufgewachsen in einer Wohnung, aber ich habe immer draußen gespielt. In Hamburg habe ich später immer am grünen Stadtrand gewohnt und bin so gut wie nie in die Stadt gefahren.
Dann kam LA, wo man schnell in der wildesten Natur ist, obwohl man in einer Megastadt lebt und schließlich Malibu, was mir beibrachte, dass ich nicht nur am Stadtrand, sondern eigentlich weit weg von Städten wohnen möchte.
Mein Haus hier in Volterra ist nun umgeben von Brombeeren und Olivenbäumen, ich höre nachts die Eulen und die Wildschweine und wenn mir nach einer Stadt ist, gehe ich rauf nach Volterra, das gerade mal 10.000 Einwohner hat. Also…die Reise führt wohl weiter aufs Land. Auch wenn die Landschaft in Kalifornien weiter und weniger menschengemacht ist als in Europa.
Ich langweile mich einfach sehr zwischen Mauern und ohne weiten wilden Horizont. Ich möchte die Jahreszeiten spüren und jeden Tag auch dem Nicht-Menschlichen begegnen. Gestern Morgen saßen eine grünschillernde Eidechse, ein orangegelber Falter und eine Biene an meiner Hauswand und ich dachte: da zeigt die Natur gerade mal wieder, dass sie so viel einfallsreicher ist als wir:)“
Das grüne Königreich ist ein richtiges Familienprojekt. Deine Tochter Anna hat es aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Dein Schwiegersohn, der gelernter Koch ist, Rezepte beigesteuert. Inwiefern war das für dich ein besonderes Buchprojekt?
Cornelia Funke: „Dieses Buch ist wirklich von Anfang an ein magisches Projekt gewesen, weil es stets um Zusammenarbeit ging. Erst mit Tammi, dann mit Juliane und Caspia und schließlich mit Anna und Mike. Und Franziska! Aber das passt ja wunderbar zum Thema, denn im grünen Königreich geht nichts ohne Kollaboration.“
Die Illustrationen stammen von Franziska Blinde. Sie hatte 2019 zusammen mit anderen Studentinnen der HAW Hamburg ein Stipendium gewonnen, das du zusammen mit deinem deutschen Verlag Dressler ausgeschrieben hattest. Die Studentinnen haben dich dann noch in Malibu besucht, richtig?
Warum sollte Franziska dein Buch illustrieren?
Cornelia Funke: „Franziska konnte wegen Covid leider nicht nach Malibu kommen. Aber sie war dann eine der ersten Künstlerinnen, die hierher nach Fraggina kamen. Sie war schon dabei, als ich noch nicht mal meine Umzugskisten hier hatte und hat die Zeit erlebt, als Fraggina aus dem Ei schlüpfte.
Bei Franziska fielen mir von Anfang an ihre brillanten Skizzen auf, die sie oben in Volterra, aber auch hier machte. Sie hat den Beginn und die Entwicklung Fragginas mit ihrem spitzen Stift begleitet und ist inzwischen schon einige Mal ein wunderbarer Gast hier gewesen. Eines Tages machte sie eine fantastische Distelzeichnung mit Feder und Tinte und ich dachte: oh, Franziska wäre ja die perfekte Illustratorin für das grüne Königreich.
Der Verlag stimmte zu und ich hatte zum ersten Mal das wirklich unvergessliche Erlebnis, dass ich in einem Zimmer noch die letzten Textänderungen machte und nebenan Franziska an den Illustrationen saß. Das waren unvergessliche Wochen. Und abends haben wir zusammen Dr Who geguckt:)“