Interview mit Julia Blesken zu „Hasenherz“

„Ich möchte den Kindern in meinen Büchern ihre Autonomie wiedergeben.“

Copyright des Bildes ist: (c)Mathias Blesken.

Sehr geehrte Frau Julia Blesken,

Für Ihr erstes Kinderbuch „Mission Kolomoro“ haben Sie 2020 den ersten Kirsten Boie Kinderbuch Preis der Hamburger Literaturstiftung bekommen. Inwiefern hat diese Auszeichnung Ihr weiteres Schreiben beeinflusst?

Julia Blesken: Der Preis hat mir natürlich sehr geholfen, weil so viele Menschen auf mein Buch „Kolomoro“ aufmerksam geworden sind.

Fridi kennen wir schon aus „Mission Kolomoro“. Was hat Sie dazu bewogen, ausgerechnet diesen stillen, schüchternen Protagonisten bei „Hasenherz“ als Hauptperson in den Mittelpunkt zu rücken?

Julia Blesken: Ich kenne viele Kinder, die Angst haben. Da geht es um Themen wie die Klimakrise und den Krieg, Bedrohungen, die sehr dicht an die Kinder herangerutscht sind, aber auch um ganz individuelle, persönlich Ängste, davor, dass sich die Eltern scheiden lassen, dass nicht genügend Geld da ist, Schulangst, Angst vor anderen Kindern oder davor etwas nicht zu können oder nicht so angenommen zu werden, wie man ist. Angst hat viele Gesichter.

Fridi ist auch ein ängstliches Kind, man könnte sagen, die Angst ist in ihn hineingekrochen. Er ist still und schüchtern und vor allem ist er niemand, der sich von selbst in den Vordergrund rückt oder sich uns öffnet. Gerade das hat mich interessiert, einem Kind mit all seinen Nöten und Ängsten, die oft in seinem Inneren verborgen sind, ganz nahe zu kommen.

Fridi erzählt seine Geschichte und lässt uns an seiner Gefühlswelt, seinen Gedanken, Ideen, Wünschen und Ängsten teilhaben und wir können erleben, was in einem Hasenherz so alles steckt. Das Buch soll Mut machen, an seine eigene Stärke und Kraft zu glauben.

Fridi ist sein Hasen-Schlafanzug am Anfang der Geschichte so peinlich, dass er u.a. deswegen gleich die ganze Pfadfinder-Fahrt sausen lässt. In Verlauf der Handlung wird er ihm aber noch nützlich und er zieht ihn freiwillig an. Heißt das, dass Fridi mehr und mehr den Mut bekommt, zu sich selbst zu stehen, auch wenn er vielleicht als „sonderbar“ wahrgenommen werden könnte?

Julia Blesken: Während Fridi sich zu Beginn des Buches nichts Schrecklicheres vorstellen kann, als dass die anderen seinen Hasenschlafanzug im Gepäck entdecken – vollkommen verständlich, schließlich ist er auch noch pink! – gewinnt er im Laufe des Buches so viel Selbstvertrauen, dass er am Ende nicht mal mehr merkt, dass er den Schlafanzug immer noch anhat.

Ein wichtiger Moment ist, als Fridi merkt, dass der Schlafanzug eine gute Tarnung ist, denn es gibt tatsächlich Dinge im Leben, die noch schlimmer sind, als Hasenschlafanzüge – beim quasi Einbruch in den Garten des GRAUENS entdeckt und eventuell gefilmt zu werden, zum Beispiel.

Da wird der Schlafanzug plötzlich zum Komplizen. Natürlich spielt am Ende auch eine Rolle, dass ein Wildschwein seine Sachen verschleppt hat, schließlich ist es besser in einem pinken Onesie zu stecken, als nackt nach Hause zu gehen. Auch nicht zu verachten ist natürlich, dass Jennifer kuschelige Hasenschlafanzüge ziemlich gut findet…

Der Hasenschlafanzug ist nichts anderes als die Angst selbst, die kann in manchen Fällen aber auch ganz nützlich sein kann, wie man sieht. Keine Angst vor der Angst!

Was können Kinder durch das Buch lernen? Und was Erwachsene?

Julia Blesken: Kinder oder Erwachsene, das macht für mich eigentlich keinen Unterschied. Letztendlich folgen wir auch dieses Mal wieder der Kinderbande Zeck, Jennifer, Musti, Polina und Fridi und fragen uns vielleicht, darf man das?, ist das richtig so? und dabei nähern wir uns immer auch der Frage, wie soll sie sein die Welt, in der Kinder und Erwachsene zusammen leben. Das ist die alles entscheidende Frage: Wie wollen wir leben?

Wie schon in „Mission Kolomoro“ verpacken Sie auch in „Hasenherz“ wichtige gesellschaftliche Themen subtil im Text. Das sind z.B. wieder Integration, Diversität, diesmal aber u.a. auch das Thema (Alters)-Armut, am Beispiel von Poppy. Warum liegt Ihnen auch dieses Thema so am Herzen?

Julia Blesken: Um ehrlich zu sein, verpacke ich die Themen gar nicht subtil, sie liegen ganz offen da. Die Kinder bewegen sich durch Berlin und stoßen darauf. In dieser Natürlichkeit fließen gesellschaftliche Themen in den Text.

Es wird nichts überbelichtet oder pädagogisiert, die Kinder gehen auf ihre eigene Weise mit dem um, was ihnen begegnet.

Die gesellschaftliche Realität von Kindern heute ist sehr verschieden, es ist mir wichtig, auch den Kindern eine Stimme zu geben, die man manchmal gar nicht hört. Jennifer sagt ihrer Mutter nicht, dass sie mit der Klasse einen Ausflug macht, weil sie weiß, dass das Geld knapp ist, obwohl ihre Mutter viel arbeitet.

Das Thema Armut ist für viele Kinder allgegenwärtig und offenbart sich in genau solchen scheinbar banalen, für Kinder jedoch existentiellen Fragen. Oft sind Kinder mit ihren Nöten allein und finden eigene Strategien damit fertig zu werden. Armut hat in unserer Gesellschaft auch immer etwas mit Scham zu tun.

Es dauert eine Weile, bis die Kinder merken, dass Poppy in ihrem Van lebt, Flaschen sammelt und nicht krankenversichert ist.

Gerade Frauen sind von Altersarmut betroffen, weil sie Teilzeit gearbeitet oder lange für die Kinder gesorgt haben. Auch das ist ein roter Faden, der sich durch den Text zieht. Poppy sucht einen Neuanfang in Griechenland.

Bild Oetinger

Fridis Mutter gründet am Ende ein Start-up Unternehmen mit essbaren Blüten. Alles ist möglich, man muss fest an sich glauben, ohne die zu vergessen, die es nicht allein schaffen.

Am Ende finden alle Figuren ihren Pfad. Fridi gewinnt Selbstvertrauen und den Mut zu sich selbst zu stehen, Musti findet endlich seine Berufung, Polina pfeift auf die Ballett-Karriere und sieht sich selbst als Anwältin für Kinderrechte kämpfen, selbst Mausi hüpft aus Mustis Tasche und huscht davon, um ihren eignen Weg zu gehen.

Was ist Ihnen beim Schreiben besonders wichtig?

Julia Blesken: Kinder leben heute in einer kommerzialisierten, medial geprägten, globalisierten Welt, in der sie immer mehr Freiräume verlieren. Sie bewegen sich zunehmend in pädagogisch geprägten Räumen, unterliegen einer ständigen Kontrolle und sind in vielfältiger Weise abhängig. Ich möchte den Kindern in meinen Büchern ihre Autonomie wiedergeben.

Sie erleben die Freiheit, der Welt ohne Handy und Geld, ganz auf sich gestellt zu begegnen und haben so die Chance, eigene Erfahrungen zu sammeln.

Was inspiriert Sie beim Schreiben (Menschen, Orte Bücher)? Was hat Ihnen beim Schreiben am meisten Spaß gemacht?

Julia Blesken: Das Leben selbst inspiriert mich. Alles, was mir begegnet, kann in einen Text einfließen, ein Bonbonpapier auf dem Boden oder ein Kaugummi in den Haaren… Aber eigentlich mache ich mich immer mit den Kindern einer Geschichte auf den Weg.

Ich folge ihnen, es sind also vor allem die Figuren, die mich inspirieren und dann entscheiden, was von der Welt um mich herum, in den Text Einzug nimmt.

Das ist es auch, was mir beim Schreiben das Gefühl absoluten Glücks gibt, einer Figur auf der Spur zu sein, von ihr überrascht zu werden und ihr möglichst nahe zu kommen. Am Anfang des Buches hätte ich mir nicht träumen lassen, dass Fridi sich trauen würde, jemanden zu küssen, noch dazu jemanden, der gerade einen Vampirlutscher (mit Pinscherhaaren) im Mund hatte.

Haben Sie schon Pläne für weitere Geschichten?

Julia Blesken: Ich bin voller Ideen, die hinausdrängen.

  • Quelle Oetinger Verlag

Info zum Buch

JULIA BLESKEN
HASENHERZ. HELD AUS VERSEHEN
Covergestaltung von Felicitas Horstschäfer
352 Seiten  gebunden  ab 10 Jahren
Hamburg: Verlag Friedrich Oetinger
15,- € (D) /15,50 € (A)
ISBN 978-3-7512-0404-0

Über Die Redaktion 14591 Artikel
Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 20 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.