Interview mit Entwicklungspsychologe Professor Hartmut Kasten über das Tippen und die kognitive Entwicklung von Kindern
Die Redaktion: Warum tippen Kleinkinder mit den Fingern?
Professor Hartmut Kasten: Tippen ist genetisch gesteuert. Etwa ab dem achten Lebensmonat entwickeln Kinder die Zeigegeste, um ihrem Gegenüber wichtige Signale zu senden: Das interessiert mich.
Aus dem Zeigen wird mit zunehmender Beweglichkeit der Kinder das Tippen. Wenn Kinder beispielsweise vermitteln wollen, dass ein Gegenstand in Ihrem Umfeld wichtig ist oder sie durch sensorische Wahrnehmung differenzierte Informationen einholen möchten, verwenden sie ihren Finger.
Die Redaktion: Welche Rolle spielt das Tippen bei der kognitiven Entwicklung von Kleinkindern?
Professor Hartmut Kasten: Schon Babys signalisieren ihren Bezugspersonen durch Drehen oder Heben ihres Köpfchens was sie interessiert oder machen sich darüber verständlich. Kleinkinder merken schnell, dass Objekte auch von den Personen im Umfeld wahrgenommen werden, wenn sie ihr Interesse für die Gegenstände durch das Antippen zum Ausdruck bringen.
Damit steuern sie mitunter die Aufmerksamkeit der Personen. Über das Pointing führen sie auch einen sogenannten optischen Perspektivwechsel herbei. So lernen Kinder, frühestens im Laufe des vierten Lebensjahres, sich vom Objekt zu distanzieren und in die Lage der Bezugsperson zu versetzen.
Die Redaktion: Was passiert im Kopf der Kinder, wenn sie tippend die Welt erkunden?
Professor Hartmut Kasten: Kinder sind von Natur aus neugierig. Das Zuwenden zu Objekten ihres Interesses in ihrem Nah- und Umfeld ist Teil der biologischen Entwicklung.
Wir wissen aus der Pädagogischen-Interessen-Theorie (PIT), dass sich Interessen kontinuierlich entwickeln. Befassen sich Kinder verstärkt mit Themen oder führen dieselben Tippbewegungen aus, bilden sich Differenzierungen heraus, sogenannte komplexe neuronale Netzwerke.
Die Redaktion: Viele Kinder kommen früh mit Bildschirmen in Kontakt und verbringen davor Zeit. Welchen Mehrwert bieten da andere Produkte, die auch ohn Bildschirm einen Ausflug in die digitale Welt ermöglichen?
Professor Hartmut Kasten: Einer meiner Forschungsschwerpunkte ist die Frage, wie Kinder stabile Interessen entwickeln. Kinder nur vor den Bildschirm zu setzen, ist für die Entwicklung nicht förderlich. Wichtig ist, dass Kinder aktiven Mediengebrauch lernen. Das ermöglichen zum Beispiel digitale Lernsysteme wie die tiptoi® Stifte.
Denn Kinder können und müssen hier aktiv entscheiden, mit welchem Thema sie sich befassen wollen – und die Details der Bücher oder Spiele antippen, zu denen sie über das Hören mehr Informationen erhalten möchten. Außerdem bestimmen sie über das Tippen selbst über die Häufigkeit der Wiederholung.
Die Redaktion: Sie sagen, dass die Aufgabe von Pädagogen und Eltern unter anderem darin besteht, den Kindern die Welt zur Verfügung zu stellen, in die sie hereingeboren werden – damit sie erforscht und verstanden werden kann. Welche Rolle spielt dabei das selbständige Erkunden?
Professor Hartmut Kasten: Kinder brauchen Zeit. Jedes Kind nimmt sich die Zeit, die es benötigt, um zu erkunden. Hinzu kommt: Kinder entwickeln von Anfang an unterschiedliche Affinitäten.
Mein Tipp an Eltern und Pädagogen ist, sich Zeit für die Interessen der Kinder zu nehmen und sich ihnen aktiv zuzuwenden. Eltern können ihre Kinder beispielsweise fördern, indem sie sie beim Spielen aufmerksam beobachten und ihre Interessen ausfindig machen und sie so gezielt darin bestärken, diese selbstständig zu erkunden. Digitale Lernsysteme tragen dazu bei, dass Kinder in den Bereichen, mit denen sie sich gern beschäftigen, sogar zu Experten werden können.
Zur Person
Hartmut Kasten ist Psychologe und Pädagoge und arbeitete viele Jahre an entwicklungspsychologischen, frühpädagogischen und familienpsychologischen Themen an den Staatsinstituten für Frühpädagogik (IFP-München) und Familienforschung (ifb-Bamberg).
Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, Artikel und Internet-Beiträge und ist als außerplanmäßiger Professor an der LMU München tätig.